WIE ÜBE ICH RICHTIG KLAVIER? TEIL 1: WAS IST ÜBEN?
Im Zuge meiner langjährigen Tätigkeit als Pianist und Lehrer habe ich sowohl bei mir, als auch bei meinen Schülerinnen und Schülern folgendes festgestellt: Trotz vorhandener Motivation und Talent geht der Lernprozess oft langsamer als notwendig voran. Dies hat oft große Frustration zur Folge. Meist liegt der Grund darin, dass keine Strategie für das Üben vorhanden ist. In meinen Blogbeiträgen zum Thema “Wie übe ich richtig Klavier?” möchte ich einige Denkanstöße dazu schreiben. Ich orientiere mich dabei an den Büchern “Einfach üben. 185 unübliche Überezepte für Instrumentalisten” von Gerhard Mantel sowie “Üben – was ist das eigentlich? Neue Erkenntnisse, alte Weisheiten, Tipps für die Praxis eine Art Puzzle” von Francis Schneider.
Was ist Üben?
Beim Klavierspielen ist nicht nur das unmittelbare Resultat wichtig. Realistische und konkrete Ziele und Zwischenziele sowie verbindliche Überegeln sind auf dem Weg zur Meisterschaft die wichtigsten Aspekte. Jede Übeeinheit sollte also mit der Frage “Was will ich heute lernen?” begonnen und mit der Frage “Was habe ich heute gelernt?” beendet werden.
Es ist auch ratsam, das Prinzip der „rotierenden Aufmerksamkeit“ anzuwenden. Gerade AnfängerInnen sind bei den schier endlos zu verarbeitenden Informationen überfordert. Deshalb ist es wichtig, die Konzentration bei jedem Durchlauf unterschiedlichen Parametern zu widmen. In unterschiedlichen Übephasen wird und soll sich die Aufmerksamkeit verschieben. Zu Beginn stehe etwa Details im Mittelpunkt, im weiteren Verlauf hingegen weiträumigere Zusammenhänge.
Unser Gedächtnis
Schneider erwähnt in diesem Zusammenhang immer wieder das so genannte Arbeitsgedächtnis. Man geht heute davon aus, dass eine Information etwa 20 Sekunden im Arbeitsgedächtnis kreist. Wenn man in diesen 20 Sekunden der Information keine Aufmerksamkeit schenkt, dann wird sie “weit weg” im Langzeitgedächtnis abgelegt. Wenn die gleiche oder eine ähnliche Information innerhalb von 20 Sekunden vermehrt auftaucht und wenn sie von große Aufmerksamkeit oder von starken Emotionen begleitet wird, dann wird die Information deutlich und vollständig im Langzeitgedächtnis abgelegt.
So bringt es laut Schneider nichts, eine bestimmte Stelle nur einmal zu spielen, denn das Gedächtnis reagiert in dem Fall nicht. Erst bei 3 bis 7 Wiederholungen schaltet sich das Gedächtnis ein und qualifiziert die Information als relevant. Wenn dieselbe Stelle nach etwa einer halben Stunde nochmals gespielt wird und während der nächsten Tage nochmals je zirka 3 bis 7 Mal, wenn dabei noch etwas verändert und dem Prozess die volle Aufmerksamkeit gewidmet wird, ist das Abrufen der Information in Zukunft kein Problem mehr. Öfter muss die Stelle nicht wiederholt werden, da sie sonst als langweilige Dauerberieselung wahrgenommen wird. Ein interessanter Aspekt ist auch, dass man sich nach längerer Zeit eher an die schwierigen als an die leichten Passagen erinnert, da man den schwierigen Passagen mehr Aufmerksamkeit gewidmet hat.
Mehrkanaliges Lernen und Lehren
Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource und manchmal ist es schwer, Aufmerksamkeit herbeizurufen. Sobald Aufgaben jedoch so weit eingeübt sind, dass sie “automatisiert” sind, lassen sich sogar zwei Aufgaben gleichzeitig ausführen. Beim Üben geht die Aufmerksamkeit normalerweise verloren und die Frage ist, wie man sie wieder zurückholen kann? Schneider empfiehlt hier eine Veränderung im Übungsablauf, etwa durch Transponieren, durch das Verschieben von Betonungen oder durch das Einbauen von rhythmischen Varianten.
Das Wissen um die Physiologie des eigenen Körpers und die Bewegungsabläufe fördert den Lernprozess ungemein. Auch Wissen über die menschliche Psychologie, insbesondere über lernpsychologische Aspekte hilft, Lernstrategien zu entwickeln und den eigenen Lerntyp kennenzulernen. Nicht zu vergessen natürlich das Wissen über das Instrument und musiktheoretische Kenntnisse.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Übens ist es, Wiederholungen richtig zu planen und zu organisieren. Die Anzahl an Wiederholungen kann und soll durchaus schon im Vorhinein eingeplant werden. Um eine Stelle erstmals motorisch bewältigen zu können, sind etwa 5 bis 9 Durchläufe zu empfehlen. Das fehlerfreie Einprägen erfordert dann meistens weitere 15 Wiederholungen. Dabei ist es wichtig, die Stelle richtig zu spielen und keine Fehler einzuüben.
Natürlich sind auch Pausen ein wichtiges Element, auf die man nicht vergessen darf. Überschreitet die Übezeit eine gewisse Dauer, nehmen Lerneffekt und Aufnahmefähigkeit deutlich ab. Auch Pausen oder Schlaf haben eine lernfördernde Wirkung. Ich habe in meinem Unterricht schon sehr oft erlebt, dass nach einem längeren Urlaub ohne Üben plötzlich ein unglaublicher Fortschritt zu beobachten war.
Die Länge der Pause richtet sich nach der erwünschten Wirkung. Das kann beispielsweise bedeuten, dass man kurz auf einem Ton verharrt um ihn sich einzuprägen. Eine solche Pause kann etwa fünf Sekunden lang sein. Sollte die Muskulatur ermüden ist es ratsam, das Spielen für eine etwas längere Zeit zu unterbrechen. Im Falle der geistigen Ermüdung empfiehlt sich eine Pausenlänge von 15 bis 20 Minuten. Wie bereits erwähnt, prägt sich das Gelernte in den Pausenphasen ein.